Kapitel 1: Die Wiege der Eugenik - Amerikas dunkles Erbe
Der Begriff "Eugenik" wurde 1883 vom britischen Naturforscher Francis Galton geprägt, einem Cousin Charles Darwins. Inspiriert von Darwins Evolutionstheorie versuchte Galton, die Prinzipien der natürlichen Auslese auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen. Sein Ziel war es, die Vererbung "guter Eigenschaften" zu fördern und die Weitergabe "schlechter Gene" zu verhindern. Diese Theorie passte in den damaligen Zeitgeist wurde so schnell zu einer ideologischen Bewegung mit folgenschweren Konsequenzen.
Besonders in den Vereinigten Staaten fand Galtons Idee fruchtbaren Boden. Um die Jahrhundertwende etablierte sich dort eine Eugenikbewegung, die tief in Wissenschaft, Politik und Kultur eindrang. Reiche Stiftungen wie die Carnegie Institution und die Rockefeller Foundation finanzierten eugenische Forschungsinstitute, darunter das berüchtigte Eugenics Record Office in Cold Spring Harbor. Universitäten wie Harvard und Stanford trugen die Ideologie in die Lehrpläne, und prominente Wissenschaftler wie Charles Davenport forderten offen die Einschränkung der Fortpflanzung "ungeeigneter" Bevölkerungsgruppen.
Diese Gruppen waren keineswegs zufällig gewählt. Betroffen waren insbesondere Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen, Suchtproblemen, Straffälligkeit, aber auch Arme, Arbeitslose und Minderheiten. Die politische Umsetzung folgte rasch: In mehr als 30 Bundesstaaten wurden Gesetze erlassen, die Zwangssterilisationen legalisierten. Insgesamt wurden schätzungsweise 60.000 Menschen sterilisiert, oftmals ohne ihr Wissen und im Allgemeinen ohne ihre Zustimmung.
Eugenik wurde dabei nicht nur als staatliches Projekt, sondern auch als eine populäre Bewegung betrieben. Auf Jahrmärkten wurden sogenannte "Better Baby Contests" und "Fitter Family Competitions" veranstaltet, bei denen Familien für ihre "guten Gene" ausgezeichnet wurden. Wer über einen makellosen Stammbaum verfügte, wurde öffentlich gefeiert. Wer in Armut lebte, krank war oder eine dunklere Hautfarbe hatte, wurde hingegen stigmatisiert und ausgegrenzt. Die rassistische Komponente war offensichtlich: Die Bewegung wollte die "weiße, nordisch-angelsächsische Rasse" vor der "Degeneration" durch Einwanderung, „Mischung“ und soziale Schwäche bewahren.
Fallbeispiel: Carrie Buck und das Urteil Buck v. Bell (1927)
Carrie Buck, ein junges Mädchen aus Virginia, wurde im Alter von 17 Jahren in eine Anstalt eingewiesen, nachdem sie von ihrem Pflegevater vergewaltigt und schwanger geworden war. Man erklärte sie – ebenso wie ihre Mutter – für „geistesschwach“. Der Fall ging vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. In einem berüchtigten Urteil erklärte der Gerichtshof unter Vorsitz von Oliver Wendell Holmes Jr., dass der Staat das Recht habe, Menschen wie Carrie zwangsweise zu sterilisieren – mit den Worten:
„Three generations of imbeciles are enough.“
Das Urteil war ein Freifahrtschein für zehntausende weitere Zwangssterilisationen in den folgenden Jahrzehnten – und ein ideologisches Vorbild für die NS-Rassengesetze.
Harry H. Laughlin – Vordenker und Exporteur der Eugenik
Harry H. Laughlin, Direktor der Eugenik-Forschungsstelle in Cold Spring Harbor, war eine der einflussreichsten Figuren der amerikanischen Eugenikbewegung. Er erarbeitete ein Modellgesetz zur Sterilisation „Minderwertiger“, das in mehreren US-Bundesstaaten übernommen wurde. 1936 verlieh ihm die Universität Heidelberg – im nationalsozialistischen Deutschland – die Ehrendoktorwürde, als Anerkennung für seine Beiträge zur „Rassenhygiene“. Laughlin selbst war ein überzeugter Anhänger der Idee, durch „biologische Verbesserung“ soziale Probleme zu lösen – ein Denken, das den Weg für den nationalsozialistischen Rassenwahn mit ebnete.
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Kapitel 2. Einfluss auf die NS-Ideologie
Die nationalsozialistische Rassenideologie, die im Holocaust und den „Euthanasie“-Programmen ihren mörderischen Höhepunkt fand, war keineswegs eine originär deutsche Idee. Vielmehr bezogen Hitler und seine Vordenker zentrale Elemente ihrer Eugenik-Politik aus den USA, einem Land, das in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die weltweit führende Rolle in der wissenschaftlichen und politischen Umsetzung von Eugenik spielte.
Ein besonders erschütterndes Beispiel ist die Zwangssterilisation. Zwischen 1907 und 1937 verabschiedeten 32 US-Bundesstaaten Gesetze, die es erlaubten, Menschen mit als „minderwertig“ klassifizierten genetischen Eigenschaften – darunter Epileptiker, Geisteskranke, Menschen mit Behinderung oder „Unmoralische“ – ohne deren Zustimmung zu sterilisieren. Der US-Bundesstaat Kalifornien war mit über 20.000 durchgeführten Zwangssterilisationen führend – eine Praxis, die von den Nazis ausdrücklich bewundert wurde.
Adolf Hitler selbst lobte die amerikanischen Gesetze in „Mein Kampf“ als vorbildlich und wegweisend. Die Schriften von US-Eugenikern wie Madison Grant („The Passing of the Great Race“) oder Harry H. Laughlin wurden in Deutschland übersetzt, rezipiert und beeinflussten direkt das nationalsozialistische Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933, das zur Zwangssterilisation von Hunderttausenden Menschen führte.
Vom Vorbild zur Radikalisierung: Die NS-Umsetzung der Eugenik
In der Eugenik der Nationalsozialisten fand sich eine der erschreckendsten Konsequenzen der in den USA entwickelten Theorie. Wo diese in den Vereinigten Staaten noch auf "Freiwilligkeit" und selektive Zucht ausgerichtet war, verschärfte der Nationalsozialismus die Methoden zu einer staatlich kontrollierten Massenmordpraxis. Dies ging so weit, dass der Staat mit Hilfe der sogenannten „Erbgesundheitsgerichte“ die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod an "Fachleute" delegierte. Diese Gerichte, die in der Praxis mit der Erlaubnis zur Zwangssterilisation und später zur Tötung von „unwertem Leben“ einhergingen, wurden von Ärzten, Psychiatern und Juristen geführt, die sich der „wissenschaftlichen“ Grundlage ihrer Handlungen absolut sicher waren.
Was in den Vereinigten Staaten in Gesetzestexten, Fachartikeln und pseudowissenschaftlichen „Vererbungs-Diagrammen“ vorbereitet worden war, setzten die Nationalsozialisten nach 1933 mit brutaler Konsequenz um. Bereits wenige Monate nach der Machtübernahme verabschiedete das NS-Regime das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das sich in weiten Teilen an den Vorlagen amerikanischer Eugeniker orientierte.
Innerhalb kurzer Zeit wurden etwa 400.000 Menschen in Deutschland zwangssterilisiert – unter anderem wegen diagnostizierter „Schizophrenie“, „angeborenem Schwachsinn“, „Alkoholismus“ oder „asozialem Verhalten“.
Der Gedanke, dass sich das „Volksganze“ gegen „erbkranke“ Individuen wehren müsse, wurde zur ideologischen Leitlinie. Der Staat übernahm zunehmend die Kontrolle über Fortpflanzung und „Auslese“, zunächst mit Zwangssterilisationen, später mit systematischen Tötungen.
Die sogenannte „Euthanasie“: Massenmord im Namen der Biologie
Die Nazis übernahmen und intensivierten die eugenischen Prinzipien aus den USA, indem sie diese in eine rassistische, diskriminierende Praxis überführten, die von „medizinischen“ Argumenten und „wissenschaftlichen“ Theorien getragen wurde. Einer der ersten und zentralen Schritte in dieser Richtung war die Schaffung von Institutionen, die diese Ideologie auf ihre brutalste Weise in die Praxis umsetzten.
Schon früh im NS-Regime begannen führende Nationalsozialisten, die Eugenik als Mittel zur „Verbesserung“ der „Volksgemeinschaft“ zu fördern. Die sogenannten „Volksgesundheits“-Maßnahmen fanden ihre Institutionalisierung in verschiedenen staatlichen und paramilitärischen Programmen, darunter die „Aktion T4“, die bis zu 275.000 Menschen das Leben kostete, darunter Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen, die als „lebensunwert“ galten.¹ Diese Morde fanden in speziell dafür eingerichteten Anstalten statt. Die Planung und Durchführung dieser Morde erfolgte mit einer erschreckenden bürokratischen Effizienz, die die Täter als „normale“ Beamte und Ärzte in einem kalten, unbarmherzigen System präsentierte.
Ein besonders perfides Beispiel war die sogenannte „Aktion Brandt“ – eine geheime Initiative innerhalb der „Aktion T4“, bei der die Vernichtung der Opfer durch Hungertod, Gaskammern oder Überdosierungen von Medikamenten vollzogen wurde. Diese „Aktion“ wurde auf der Grundlage eugenischer Theorien durchgeführt, die von führenden NS-Eugenikern vertreten wurden. Die Legitimierung dieser Verbrechen basierte auf der Annahme, dass die Gesellschaft durch die Erhaltung „kranker“ oder „unerwünschter“ Individuen entmenschlicht werde und somit einem fortschreitenden Verfall anheimfiele.⁴
Die Ideologie hinter diesen Verbrechen war kein irrationaler Ausbruch von Barbarei, sondern die logische Konsequenz einer biologistischen Weltsicht, die den Menschen auf seine „Erbmasse“ reduzierte. Die gleichen Begriffe, die in amerikanischen Eugenik-Schriften auftauchten – „Lastenträger“, „minderwertig“, „asozial“ – fanden sich auch in den NS-Gesetzen und Tötungsformularen wieder.
Die Tötungsanstalten und ihre Wissenschaftler: Vernichtung als „medizinische Maßnahme“
Zwischen 1939 und 1945 richteten die Nationalsozialisten in Deutschland und Österreich mehrere sogenannte „Heilanstalten“ zu systematischen Tötungszentren um.
Diese Einrichtungen waren:
- Grafeneck (Württemberg)
- Brandenburg an der Havel
- Hartheim (bei Linz)
- Sonnenstein (Pirna)
- Bernburg
- Hadamar (Hessen)
Hier wurden in Gaskammern und durch Medikamente zehntausende Menschen ermordet – darunter Kinder, Kriegsversehrte, Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen sowie psychisch Erkrankte. Die Taten wurden unter dem Deckmantel ärztlicher Fürsorge und im Namen der „Rassenhygiene“ verübt. Die Leichen wurden verbrannt, die Angehörigen mit gefälschten Sterbeurkunden getäuscht.
Ein zentrales Instrument war das „Befundblatt“, das von Ärzten wie Maschinen abgearbeitet wurde. Eine Unterschrift mit einem roten Plus bedeutete den Tod. Die Täter agierten mit einem entpersonalisierten Bürokratismus, der an moderne Verwaltungsprozesse erinnert – nur mit tödlichem Ausgang.
„Wissenschaftler“ des Mordens
Neben den institutionellen Einrichtungen gab es auch prominente Namen, die mit dieser „wissenschaftlichen“ Verbrechensmaschinerie verbunden waren.
Besonders bekannt wurde der Arzt Josef Mengele, berüchtigt als „Todesengel von Auschwitz“, der promovierter Mediziner und Anthropologe war. Sein zynisches Motto lautete: „Der Tod ist nichts, aber das Leben ist ein völlig unerträglicher Zustand.“ Er war als Lagerarzt in Auschwitz verantwortlich für die Durchführung grausamer medizinischer Experimente, die oft ohne Rücksicht auf das Leben der Opfer stattfanden. Mengele wählte vor allem Zwillinge aus, die er für seine Experimente missbrauchte. Diese sogenannten „Zwillingsexperimente“ beinhalteten unter anderem die Injektion von schädlichen Substanzen, die Messung von Schmerzen und sogar die Durchführung von Operationen ohne Narkose, um die „Resistenz“ des menschlichen Körpers gegen Krankheiten und Verletzungen zu testen.²
Die NS-Eugenik wurde von zahlreichen weiteren Medizinern und Wissenschaftlern getragen, die nicht nur Mitläufer, sondern treibende Kräfte waren. Einige zentrale Namen waren:
- Karl Brandt, Hitlers Begleitarzt, war einer der Hauptverantwortlichen der Aktion T4.
Er sagte 1945: „Ich hatte das Gefühl, dass man Menschen, die zu nichts mehr in der Lage waren, wie Vieh behandeln durfte.“
- Werner Heyde, Leiter der „Reichszentrale für die wissenschaftliche Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“, entwickelte das medizinische Auswahlverfahren für die Tötungsprogramme mit. Er trat nach dem Krieg unter falschem Namen wieder als Psychiater auf.
- Otmar Freiherr von Verschuer, Eugeniker und Mentor von Mengele, propagierte rassenbiologische Forschung und war an der Auswertung von Mengeles Experimenten beteiligt – noch 1944 publizierte er „wissenschaftliche“ Arbeiten mit Daten aus Auschwitz. Nach dem Krieg erhielt er wieder eine Professur.
- Der Psychiater Hermann Julius Pfannmüller war ein weiteres Beispiel für die Verstrickung von Ärzten und Wissenschaftlern in die „Euthanasie“-Programme. Er arbeitete in verschiedenen deutschen Anstalten und war an der Durchführung der Morde beteiligt. An seinem Fall zeigt sich exemplarisch, wie sehr sich medizinische Fachkreise damals in den Dienst der Rassenideologie stellten.
Diese Männer standen exemplarisch für eine Medizin, die sich selbst entmenschlicht hatte – eine „Wissenschaft“, die sich ganz in den Dienst einer tödlichen Ideologie stellte. Das Menschenbild war nicht von der Menschenwürde, sondern von Nützlichkeit und „Reinheit“ bestimmt.
Fußnoten:
1. Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat: Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“*, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1983, S. 215.
2. Gerald Posner und John Ware, Mengele. Der Arzt von Auschwitz, Berlin: Ullstein Verlag, 1986, S. 137-139.
3. Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939–1945 – Eine Gesellschaftsgeschichte*, Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2013, S. 98-105.
4. Paul Weindling, Health, Race and German Politics between National Unification and Nazism, 1870–1945, Cambridge: Cambridge University Press, 1989, S. 284-288.
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Kapitel 3. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Eugenik als Grundlage für den Transhumanismus
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schien es, als ob die Eugenik-Ideologie weitgehend diskreditiert worden wäre, vor allem aufgrund ihrer direkten Verbindung zu den Verbrechen des Nationalsozialismus. Doch die Ideen, die der Eugenik zugrunde lagen, verschwanden nicht einfach aus der politischen und philosophischen Landschaft. Vielmehr wurden sie in verschiedenen technokratischen und futuristischen Bewegungen weiterentwickelt und adaptiert, was den Weg für den Transhumanismus ebnete.
Die Technokratiebewegung und die Eugenik-Ideologie
Die Technokratiebewegung, die in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewann, war ein Versuch, die Gesellschaft mithilfe von Technologie und „wissenschaftlicher“ Verwaltung zu optimieren. Sie war nicht nur ein Produkt der Industriellen Revolution, sondern auch ein direktes Erbe der Eugenik. Die Technokraten, die eine vollständige Umgestaltung der Gesellschaft anstrebten, glaubten, dass soziale Probleme mit Hilfe von wissenschaftlicher Planung und technologischem Fortschritt gelöst werden könnten – und dass dies auch die „biologischen“ Aspekte des Menschen einbeziehen sollte.
Einer der führenden Köpfe dieser Bewegung war der Ingenieur und Ökonom Howard Scott, der als Mitbegründer der Technokratiegesellschaft bekannt wurde. Scott und seine Kollegen vertraten die Ansicht, dass die Gesellschaft von Ingenieuren und Wissenschaftlern geführt werden sollte, die die „richtigen“ Entscheidungen für das Wohl aller Menschen treffen könnten. Dies beinhaltete auch eine wissenschaftliche Steuerung der Bevölkerung. Die Technokraten argumentierten, dass eine bestimmte „Verbesserung“ der menschlichen Rasse möglich sei, indem man sich auf technologischen Fortschritt und die Kontrolle von Fortpflanzung und genetischer Vererbung stützte. Sie sahen den Menschen als „Maschine“, die optimiert werden musste, um das Potenzial der Gesellschaft zu maximieren.¹
Der Übergang zum Transhumanismus: Von der Eugenik zur genetischen Manipulation
Die Technokratiebewegung hatte jedoch ihre größten Anhänger nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, wo ähnliche Ideen in den politischen Diskursen nach dem Krieg auftauchten. Sie blieb als philosophische Bewegung zwar begrenzt, beeinflusste jedoch in den 1950er und 1960er Jahren die Entstehung neuer Ideen über die Zukunft der Menschheit, die später in den Transhumanismus mündeten.
Und der Transhumanismus, wie wir ihn heute erleben, greift – genau unter dem harmloserscheinenden technologischen Deckmantel – auf viele Denkfiguren der klassischen Eugenik zurück. Doch um das zu erkennen, müssen wir verstehen, woher diese Ideen stammen und in welchem gesellschaftlichen Klima sie gedeihen konnten.
In den 1960er Jahren begannen Philosophen und Wissenschaftler, die Ideen der Technokraten und Eugeniker weiterzuentwickeln, und zwar in Richtung einer radikaleren Vision: den Transhumanismus.
Dieser neue Ansatz sah nicht nur eine Verbesserung des Menschen durch soziale und politische Planung vor, sondern auch eine Verbesserung durch biologische und technologische Mittel. Der Transhumanismus propagiert die Idee, dass der Mensch durch Technologie seine biologischen Grenzen überschreiten kann – eine Entwicklung, die, wie in früheren Eugenik-Programmen, auf eine „Optimierung“ der menschlichen Spezies abzielt.
Ein Schlüsselfigur dieser Bewegung war der britische Biologe Julian Huxley, der Bruder von Aldous Huxley. Julian Huxley spielte eine zentrale Rolle in der Gründung der UNESCO und prägte das Konzept des „Neuen Humanismus“, das er in seinem Werk „New Bottles for New Wine“ (1957) beschrieb. Er argumentierte, dass die Menschheit durch wissenschaftlichen Fortschritt ihre biologischen Begrenzungen überwinden könne und ein neues „Hochleistungs“-Menschentum entstehen würde. Huxley verfolgte die Vision einer Welt, in der die Menschen durch wissenschaftliche Entfaltung ihre Evolution selbst in die Hand nehmen könnten. Diese Philosophie stellte eine direkte Fortsetzung der Eugenik dar, allerdings mit einem utopischen Ansatz.²
Huxley schrieb:
„Es ist die Aufgabe des neuen Humanismus, die Wissenschaft dazu zu nutzen, den Menschen selbst zu verbessern, seine Natur zu transformieren und ihn auf eine neue Stufe der Existenz zu erheben.“³
Dieser Gedanke setzte sich in den 1970er Jahren weiter fort, als der amerikanische Futurist und Transhumanist Fereidoun M. Esfandiary (der später den Namen FM-2030 annahm) die Möglichkeit einer technologischen Überwindung des menschlichen Körpers postulierte. Esfandiary sprach von einer „Post-Humanität“, einer Ära, in der Menschen ihre physischen und geistigen Grenzen durch Technologie weit überschreiten würden. Er vertrat die Ansicht, dass der Tod nicht nur vermeidbar, sondern durch Fortschritt und Verbesserung des menschlichen Lebens durch Technologien wie Kryokonservierung und genetische Manipulation letztlich überwunden werden könne.⁴
Technologische Optimierung: Der Weg in die Transhumanismus-Bewegung
Die Ideen, die sich aus der Technokratiebewegung und der Eugenik entwickelten, fanden weitere Anhänger im Rahmen des Transhumanismus besonders in Silicon Valley und anderen Technologiekreisen. Diese Transhumanisten argumentieren, dass durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Nanotechnologie, Gentechnik und anderen bahnbrechenden Technologien die Grenzen des menschlichen Lebens, seiner Intelligenz und seiner physischen Fähigkeiten überschritten werden können.
Der berühmte Transhumanist und Gründer des Institute for Ethics and Emerging Technologies (IEET), Nick Bostrom, ist einer der führenden Denker dieser Bewegung. Bostrom sieht den Transhumanismus als eine Evolution des Menschen in eine neue Form – eine Form, die „verbesserte“ Menschen hervorbringen soll, die sich durch Technologie in allen Bereichen des Lebens auszeichnen, also mit anderen Worten "den Übermenschen", wie ihn erst Nietzsche und später die Nazis erträumt hatten.
Diese Philosophie verknüpft sich mit den Ideen von Huxley und Esfandiary, die die „Optimierung“ des Menschen als etwas grundsätzlich Positives betrachteten, und leitet sich direkt aus den Eugenik-Ideen der Vergangenheit ab, die eine Verbesserung der menschlichen Rasse anstrebten.⁵
Fußnoten:
Howard Scott, Technocracy: The Hope of the Human Race, New York: Macmillan, 1933, S. 74-80.
Julian Huxley, New Bottles for New Wine, London: Chatto & Windus, 1957, S. 129-135.
Julian Huxley, Evolutionary Humanism, London: Harper & Row, 1963, S. 57.
FM-2030, Up-Wingers: A Futurist Manifesto, New York: Delacorte Press, 1973, S. 22-28.
Nick Bostrom, Superintelligence: Paths, Dangers, Strategies, Oxford: Oxford University Press, 2014, S. 88-92.
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Kapitel 4: Moderne Transhumanisten im Silicon Valley und deren Einfluss und Macht in Wissenschaft und Gesellschaft
Im Silicon Valley hat sich eine Gruppe von Technologieunternehmen und führenden Persönlichkeiten herausgebildet, die den Transhumanismus nicht nur als philosophisches Konzept, sondern als praktische Zukunftsvision für die Menschheit ansehen. Diese Akteure, die teils durch ihre wirtschaftliche Macht und Innovationen, teils durch ihre Überzeugungen über die Zukunft der Menschheit eine dominante Rolle im technologischen Diskurs spielen, sind maßgeblich für die Verbreitung und Umsetzung transhumanistischer Ideen verantwortlich.
Prominente Transhumanisten im Silicon Valley
Zu den bekanntesten Vertretern des Transhumanismus im Silicon Valley gehören Unternehmer und Denker wie Peter Thiel, Ray Kurzweil, und Elon Musk. Ihre Visionen der Zukunft, die auf technologischem Fortschritt und der Überwindung menschlicher Grenzen basieren, haben nicht nur die öffentliche Wahrnehmung des Transhumanismus geprägt, sondern auch entscheidend zu seiner populären Akzeptanz beigetragen.
1. Peter Thiel
Peter Thiel, Mitbegründer von PayPal und einer der einflussreichsten Tech-Investoren im Silicon Valley, ist ein prominenter Befürworter transhumanistischer Ideen. Thiel hat oft die Notwendigkeit betont, den Tod zu überwinden und das Leben durch technologische Innovationen zu verlängern. Durch sein Unternehmen *Palantir Technologies*, das sich mit Datenanalyse beschäftigt, und seine Investitionen in Biotechnologie-Start-ups hat Thiel maßgeblich dazu beigetragen, transhumanistische Projekte wie die *Anti-Aging*-Forschung und die Lebensverlängerung voranzutreiben. Thiel ist bekannt für seine Philosophie der „Langlebigkeit“ und glaubt, dass der Tod durch technologische Mittel irgendwann besiegbar sein wird.²
2. Ray Kurzweil
Ein weiterer prominenter Vertreter des Transhumanismus ist der futuristische Denker und Ingenieur Ray Kurzweil. Als Direktor für Ingenieurwissenschaften bei Google und als Verfechter der Idee des „Singularity“ – einem Moment, in dem die technologische Entwicklung so schnell wird, dass sie den menschlichen Verstand übersteigt – ist Kurzweil eine zentrale Figur im transhumanistischen Diskurs. In seinen Büchern wie *„The Singularity Is Near“* (2005) beschreibt er seine Vision einer Zukunft, in der Menschen mit Maschinen verschmelzen, um die biologischen Grenzen zu überwinden. Kurzweil setzt sich intensiv mit künstlicher Intelligenz, Gentechnologie und der digitalen Unsterblichkeit auseinander und prognostiziert, dass es möglich sein wird, das menschliche Bewusstsein in digitale Form zu übertragen, was den Tod überwindet.³
3. Elon Musk
Elon Musk, Gründer von Tesla und SpaceX, ist ebenfalls ein prominenter Vertreter der transhumanistischen Bewegung, insbesondere im Bereich der Gehirn-Computer-Schnittstellen. Mit seiner Firma Neuralink arbeitet Musk daran, Technologien zu entwickeln, die es Menschen ermöglichen, ihr Gehirn direkt mit Computern zu verbinden, um die menschliche Intelligenz zu erweitern und so möglicherweise auch die biologischen und kognitiven Grenzen zu überwinden. Musk ist ein leidenschaftlicher Befürworter von Technologien, die den menschlichen Körper „optimieren“ und hat wiederholt die Möglichkeit thematisiert, durch diese Fortschritte das menschliche Leben zu verlängern und die Existenz des Menschen über den Planeten Erde hinaus zu sichern.⁴
Der Einfluss auf die Wissenschaft
Durch ihre wirtschaftliche Macht und ihren Einfluss auf die Wissenschaft und Forschung haben diese Akteure die Agenda des Transhumanismus weiter vorangetrieben. Durch Milliardeninvestitionen in Forschungsprojekte, die sich mit Genmanipulation, Künstlicher Intelligenz und anderen transhumanistischen Technologien befassen, haben sie nicht nur den Bereich der akademischen Forschung beeinflusst, sondern auch viele der ethischen und sozialen Diskussionen rund um diese Technologien mitbestimmt.
Beispielsweise hat das von Peter Thiel unterstützte *Methuselah Foundation* Forschungen zur Lebensverlängerung gefördert, und Kurzweils Arbeit bei Google zielt darauf ab, das Verständnis von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zu revolutionieren. Diese Technologien, die theoretisch die menschliche Lebensspanne verlängern oder sogar das menschliche Bewusstsein digitalisieren könnten, werden vor allem durch private Unternehmen vorangetrieben. Das bedeutet, dass die Entwicklung dieser Technologien von den ökonomischen Zielen und der Vision einzelner Individuen oder Unternehmen geleitet wird und nicht von irgendwelchen ethischen Überlegungen.
Einfluss auf den öffentlichen Diskurs
Die prominente Rolle dieser Transhumanisten hat inzwischen einen erheblichen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Durch ihre Medienpräsenz und ihren Einfluss auf den Tech-Bereich schaffen sie eine Plattform für transhumanistische Ideen, die zunehmend in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Viele der von ihnen unterstützten Ideen – etwa die Möglichkeit der „Unsterblichkeit durch Technologie“ – werden in den Mainstream-Medien verbreitet und beeinflussen die Wahrnehmung der Menschen darüber, was in der Zukunft technologisch möglich sein könnte. Durch ihre Visionen über den technologischen Fortschritt und die potenziellen Vorteile für die Menschheit tragen sie dazu bei, den Transhumanismus als eine realistische und erstrebenswerte Zukunftsperspektive darzustellen.
Doch diese Akteure haben nicht nur die Möglichkeit, den öffentlichen Diskurs zu prägen, sondern auch die politischen Entscheidungen rund um den Einsatz von Technologien wie KI, Gentechnik und Biotechnologie zu beeinflussen. Ihre enorme wirtschaftliche Macht und ihr Einfluss auf staatliche Entscheidungen könnten dazu führen, dass ethische Fragen rund um den Transhumanismus und die möglichen Folgen für die Gesellschaft weitgehend unbeachtet bleiben, während eine technologische „Optimierung“ des Menschen vorangetrieben wird, die keine Rücksicht auf die Risiken für die menschliche Existenz an sich nimmt.
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Fußnoten:
1. Peter Thiel, Zero to One: Notes on Startups, or How to Build the Future*, New York: Crown Business, 2014, S. 102-105.
2. Ray Kurzweil, The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology*, New York: Viking, 2005, S. 45-52.
3. Elon Musk, Elon Musk: Tesla, SpaceX, and the Quest for a Fantastic Future*, Ashlee Vance, New York: Ecco, 2015, S. 272-280.
4. Nick Bostrom, Superintelligence: Paths, Dangers, Strategies*, Oxford: Oxford University Press, 2014, S. 150-153.
Die möglichen Konsequenzen des Transhumanismus:
Der Transhumanismus und seine Ideen über die Verbesserung der menschlichen Spezies durch technologische und biologische Mittel werfen nicht nur eine Vielzahl technischer, sondern auch tiefgreifende ethische und philosophische Fragen auf. Besonders die dystopischen Visionen einer posthumanen Zukunft, in der die Menschheit entweder transformiert oder gar ausgelöscht wird, sind von Bedeutung.
Zitat: „Es gibt eine schreckliche Ironie in der Vorstellung, dass wir, um uns zu verbessern, uns selbst so sehr verändern müssen, dass wir uns selbst verlieren. Die Menschheit könnte durch den Transhumanismus in eine Spezies verwandelt werden, die weder menschlich noch posthuman ist, sondern etwas dazwischen – ein Wesen, das seine eigene Geschichte und Identität nicht mehr begreifen kann.“
Quelle: Francis Fukuyama: Our Posthuman Future: Consequences of the Biotechnology Revolution (2002).
Fukuyama warnt vor der Gefahr, dass der Transhumanismus nicht nur die biologische Grundlage des Menschen verändert, sondern auch die ethischen und moralischen Grundlagen. Eine der größten Gefahren ist die Schaffung eines posthumanen Wesens, das seine Herkunft und seine Existenz nicht mehr nachvollziehen kann.
„Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der die Menschheit in zwei Klassen geteilt wird: Die einen, die ihre genetische Struktur und ihre biologischen Einschränkungen mit fortschrittlicher Technologie überwinden, und die anderen, die zurückgelassen werden, sich aber immer noch an ihre alten, 'veralteten' Körper klammern. In dieser neuen Welt könnte der Mensch, wie wir ihn kennen, in Reservaten leben oder sogar in Museen ausgestellt werden.“
Quelle: Bruce Sterling: The Posthuman (2001).
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