Ein Atomwaffenprogramm geduldet
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Doppelte Standards:
Das Atomwaffenprogramm Israels im Vergleich zum Iran
1. Einleitung
Die Frage nach nuklearer Aufrüstung im Nahen Osten ist nicht nur ein sicherheitspolitisches, sondern auch ein moralisch völkerrechtliches Problem. Während die internationale Gemeinschaft in den letzten zwei Jahrzehnten das iranische Atomprogramm mit Sanktionen und Drohungen belegte, bleibt Israels eigenes Atomwaffenarsenal, trotz fehlender internationaler Kontrolle, von öffentlicher Kritik im Westen weitgehend verschont. Dieses Essay untersucht den Kontrast zwischen dem tatsächlichen Verhalten beider Staaten, ihren Verpflichtungen und dem Umgang der Weltgemeinschaft mit ihnen.
2. Der Atomwaffensperrvertrag (NPT)
Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT), 1968 geschlossen und 1970 in Kraft getreten, basiert auf drei Säulen:
-
Verzicht auf den Erwerb von Atomwaffen durch Nicht-Nuklearstaaten,
-
Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung durch Atomwaffenstaaten,
-
Förderung der friedlichen Nutzung von Kernenergie unter Kontrolle der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA).
Der Iran ist seit 1970 Vertragsstaat des NPT und hat sich damit zum Verzicht auf Atomwaffen und zur Zusammenarbeit mit der IAEA verpflichtet1. Israel hingegen hat den NPT nie unterzeichnet und unterliegt daher keiner völkerrechtlichen Kontrolle durch die IAEA in Bezug auf militärische Nuklearanlagen2.
3. Das iranische Atomprogramm
Der Iran begann in den 1950er Jahren unter Schah Mohammad Reza Pahlavi mit westlicher Unterstützung ein ziviles Atomprogramm („Atoms for Peace“). Nach der Islamischen Revolution 1979 änderten sich die internationalen Beziehungen.
Die zentralen Vorwürfe gegen den Iran betrafen intransparente Entwicklungen im Bereich der Urananreicherung. Dennoch konnte die IAEA über lange Zeit keine Beweise für ein aktives Atomwaffenprogramm nach 2003 finden3.
Im Jahr 2015 wurde zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland) das sogenannte Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) geschlossen. Dieser verpflichtete den Iran zur drastischen Einschränkung seiner Urananreicherung und zur umfassenden Inspektion durch die IAEA. Im Gegenzug sollten Sanktionen aufgehoben werden.
Im Mai 2018 trat die US-Regierung unter Präsident Donald Trump einseitig aus dem Abkommen aus, obwohl die IAEA bis dahin bestätigte, dass der Iran seine Verpflichtungen einhielt4. In Reaktion darauf reduzierte Teheran schrittweise seine Kooperation mit der IAEA.
Bis Juni 2025 gibt es keine öffentlich bestätigten Hinweise darauf, dass der Iran eine Nuklearwaffe besitzt oder unmittelbar anstrebt5.
4. Das israelische Atomwaffenprogramm
Israel betreibt seit den 1950er Jahren ein geheimes Atomwaffenprogramm, beginnend mit französischer Unterstützung beim Bau des Reaktors in Dimona (Negev-Wüste). Der US-Geheimdienst geht davon aus, dass Israel in den späten 1960er Jahren über einsatzfähige Atomwaffen verfügte6.
Bis heute verfolgt Israel eine Politik der „nuklearen Zweideutigkeit“ – es bestätigt weder offiziell, Atomwaffen zu besitzen, noch bestreitet es dies. Internationale Schätzungen sprechen von 80 bis 400 atomaren Sprengköpfen7. Israel verfügt über Trägersysteme zu Land (Jericho-Raketen), zur See (U-Boote mit Marschflugkörpern) und in der Luft (F-15/F-35).
Das Land ist nicht dem NPT beigetreten, lehnt internationale Kontrollen seines Atomprogramms ab und hat sich nie zur Abrüstung verpflichtet. Berichte deuten zudem darauf hin, dass Israel an gezielten Tötungen iranischer Atomwissenschaftler beteiligt war8.
5. Der doppelte Standard
Während der Iran trotz Rückzugs aus dem JCPOA weiterhin internationale Inspektionen in begrenztem Umfang zulässt, genießt Israel faktisch Immunität. Die westlichen Staaten - insbesondere die USA, die Bundesrepublik, Großbrittannien und Frankreich - schützen Israel vor internationalen Resolutionen und rechtfertigen einseitige Präventivschläge gegen mutmaßliche Atomziele im Iran.
Diese Haltung widerspricht fundamentalen Prinzipien des Völkerrechts, insbesondere dem Gewaltverbot der UN-Charta (Artikel 2, Absatz 4), sowie der Gleichheit souveräner Staaten. Die Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungsregimes leidet massiv unter diesem selektiven Vorgehen.
6. Eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten
Bereits in den 1970er Jahren schlugen mehrere Staaten (u. a. Ägypten und der Iran) die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten vor. Diese Idee wurde regelmäßig von der UNO aufgegriffen, scheiterte jedoch stets am Widerstand der USA – mit dem Ziel, Israels atomare Sonderstellung zu schützen9.
Ein solcher Vertrag würde ein multilaterales Rahmenwerk schaffen, das sowohl Iran als auch Israel zur nuklearen Abrüstung oder Transparenz verpflichten könnte.
7. Fazit
Die aktuelle Atompolitik im Nahen Osten ist von Ungleichheit, geopolitischen Interessen und selektiver Moral geprägt. Solange bestimmte Staaten völkerrechtliche Verpflichtungen umgehen dürfen, während andere unter massivem Druck stehen, ist keine gerechte und friedliche Weltordnung möglich. Die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit internationaler Verträge erfordert daher vor allem eines: gleiche Regeln für alle.
Fußnoten
-
Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT), in Kraft seit 1970. https://www.un.org/disarmament/wmd/nuclear/npt/ ↩
-
Israel ist nicht Mitglied des NPT. Siehe: IAEA-Liste der Vertragsstaaten https://www.iaea.org/publications/documents/infcircs ↩
-
IAEA Board Report, 2015: "Final Assessment on Past and Present Outstanding Issues regarding Iran’s Nuclear Programme." ↩
-
IAEA Verification and Monitoring Report (Juni 2018). ↩
-
Bericht der Arms Control Association, Mai 2025: "Iran’s Nuclear Program and JCPOA Status." ↩
-
Avner Cohen, The Worst-Kept Secret: Israel’s Bargain with the Bomb, Columbia University Press, 2010. ↩
-
SIPRI Yearbook 2024, Kapitel: World Nuclear Forces. ↩
-
Guardian, 27. Nov. 2020: "Iran nuclear scientist Mohsen Fakhrizadeh assassinated near Tehran." ↩
-
UN General Assembly Resolution A/RES/77/48 (2022): "Establishment of a nuclear-weapon-free zone in the region of the Middle East." ↩
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