01 Mai 2024

Deutschland und die Demut

 Viele Menschen sagen, dass wir uns als Deutsche in unserer gegenwärtigen Zeit nicht mehr für das schuldig fühlen sollten, was unsere Vorfahren im zweiten Weltkrieg getan haben. Und da stimme ich zu. Ich glaube nicht an Kollektivschuld.

Und doch halte ich es für gut, uns zu erinnern, nicht um einer kollektiven Schuld willen, sondern um aus der Vergangenheit zu lernen.

Viele Deutsche haben aber scheinbar das Falsche gelernt, übrigens genau wie viele Israelis. Wenn wir Deutschen uns an die Geschichte erinnern und sagen "Nie wieder!", dann sollte das nicht ausschließlich bedeuten, dass Deutschland nie wieder Juden verfolgen und töten darf. Noch weniger darf es bedeuten, dass Israel, um einen paranoid befürchteten Völkermord an Juden zu verhindern, jetzt mal vorsichtshalber einen Völkermord an Palästinensern durchführen sollte. 

Aber gibt es denn etwas Gutes, das wir aus unserer Erinnerungskultur lernen können?

Wir könnten zum Beispiel lernen, zu was es führen kann, wenn Gruppen in der Gesellschaft verbal entmenschlicht und ausgegrenzt werden, beispielsweise "Ungeimpfte" oder Russen und Russlanddeutsche.

Wir könnten auch lernen, was geschieht, wenn ein Volk größenwahnsinnig wird: "Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt," war keine gute Prognose und hat dazu geführt, dass uns am Ende sehr viel weniger von den ehemals deutschen Landen gehört. Und das mit der ganzen Welt war auch Essig. 

Der Größenwahn der USA, der Weltpolizist und der Über-Hegemon zu sein, ist gerade auch dabei im nationalen Desaster zu enden. Aber weil die USA den 2. Weltkrieg gemeinsam mit ihren Alliierten gewonnen haben, konnten sie daraus bis jetzt noch nichts lernen.

Als unser damaliger Bundeskanzler Willi Brandt sich am 7. Dezember 1970 demütig vor einem Kriegsdenkmal in Warschau niederkniete und die deutsche Schuld anerkannte, da war das, meiner Meinung nach, richtig und gut. Nur 25 Jahre waren nach dem 2. Weltkrieg vergangen, viele der Täter waren noch am Leben, und einige von ihnen waren schon längst wieder in Amt und Würden. 

Willi Brandt selber hatte keine persönliche Schuld auf sich geladen. Er war im Krieg vor den Nazis nach Schweden geflohen. Aber er kniete dort für die Täter, die sich viel zu wenig schuldig fühlten. 

Heute leben diese Täter nicht mehr. Wer damals gelebt hat und noch heute lebt, war zu Nazi-Zeiten ein unschuldiges Kind gewesen. 

Und trotzdem halte ich ein bisschen Demut immer noch für eine gute Sache, nicht aus Schuldgefühl für etwas, was einige unserer Vorfahren getan haben, sondern um Größenwahn und Opfermentalität zu verhindern.

Wusstet ihr, dass Hitler und die Nazis nur deshalb an die Macht kamen, weil die Deutschen sich als Opfer größter Ungerechtigkeiten fühlten?

 Deutschland hatte den 1.Weltkrieg verloren, und dem Land waren danach so riesige Reparationskosten auferlegt worden, dass sie praktisch unbezahlbar waren, und zur Hyperinflation und zum wirtschaftlichen Zusammenbruch geführt hatten.

Waren diese Reparationen gerechtfertigt? Nein, absolut nicht. Von allem, was ich inzwischen aus der Geschichte jener Zeit weiß, war Deutschland nicht schuld am 1. Weltkrieg. Es ist eine komplizierte Geschichte, die ich euch vielleicht ein andermal erzähle. Aber eines ist klar, nämlich dass die Briten jahrelang daran gearbeitet hatten Deutschland als wirtschaftlichen Konkurrenten auszuschalten. Und versuchten sie mit Hilfe ihrer Geheimdienste und den separatistischen Organisationen im Balkan, die diese Geheimdienste finanzierten.

Also Deutschlands Bevölkerung fühlte sich als Opfer, und das brachte am Ende die Nazis an die Macht. Und diese wiederum erklärten Juden und Russen zu Verantwortlichen an dieser Ungerechtigkeit.

Und das führte dann am Ende zum Völkermord deutscher Täter an vielen, vielen Millionen von jüdischen und russischen Opfern.

Aber vor dem 1. Weltkrieg haben sich die Franzosen als Opfer Deutschlands gefühlt, nach dem Krieg von 1870, in dem diese Elsass und Lothringen an Deutschland verloren hatten, und dann auch noch von der deutschen Regierung öffentlich gedemütigt wurden.

Und davor fühlten sich zur Zeit Napoleons die vielen deutschen Fürstentümer als Opfer, die damals unter französischer Herrschaft standen. 

Im Kosovo fühlen sich jetzt die Serben als Opfer, davor fühlten sich die Albaner als Opfer. Dieses Gebiet ist über Jahrhunderte mehrmals von einer Volksgruppe zur anderen übergegangen. Jedes Mal gab es dabei ethnische Säuberungen.

Die Armenier fühlen sich jetzt als Opfer der Aserbaidschaner, weil sie kürzlich Nagorno Karabach verloren haben und von dort fliehen mussten. Aber Aserbaidschaner  erzählen von ethnischen Säuberungen durch die Armenier in diesem Gebiet und um dieses Gebiet herum, als in den 1990gern ihre Leute von dort vertrieben wurden.

Und jeder der Seiten bei solchen Konflikten kann auf große Ungerechtigkeiten dem eigenen Volk gegenüber hinweisen.

Als Querdenker haben wir in den letzten Jahren auch eine Menge Ungerechtigkeiten erlebt. Einige von uns wurden von Polizisten geschlagen. Die meisten haben hohe Strafen bezahlt, nur weil wir für unsere verfassungsmäßigen Rechte eingestanden sind. Einige wurden eingesperrt und haben monatelang im Gefängnis gesessen, viele haben ihre Arbeit und manchmal sogar ihre Berufsmöglichkeiten verloren. Alle wurden wir diffamiert, häufig denunziert und verbal entmenschlicht, als Nazis oder als Blinddarm rechts unten, der entfernt werden muss, bezeichnet. Und wie viele andere vor uns, fühlen wir uns jetzt als Opfer. 

Aber so eine Opfermentalität führt fast immer dazu, dass man selbst irgendwann auf die eine oder die andere Weise zum Täter wird. Es ist ein tödlicher Kreislauf, der irgendwann gebrochen werden muss, wenn wir Frieden haben wollen.

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, benötigen wir Demut. Wir müssen erkennen, dass wir selbst fehlbar sind, und unsere Leute, die mit denen wir uns identifizieren, eben auch.

Die deutsche Armee und die Nazi-Spezialeinheiten haben im 2.Weltkrieg unvorstellbar furchtbares Unrecht begangen. Aber auch gegen die deutsche Zivilbevölkerung wurde furchtbares Unrecht begangen, in den Flächenbombardierungen, den Feuerbombardierungen und den Vertreibungen mit vielen Toten.

Willi Brandt hat sich demütig hingekniet.  Viele Deutsche, besonders unter den Vertriebenen, haben ihm das übelgenommen. Aber er hat es trotzdem getan, nicht weil er das Unrecht der Zerstörung und Vertreibung vergessen hatte, sondern weil er Frieden schließen wollte mit unseren Nachbarn.

Jesus sprach vom Splitter im Auge unseres Nächsten, den wir immer sehen können, den Balken im eigenen Auge jedoch nicht. Es wäre doch viel einfacher, sich erst einmal um den Balken im eigenen Auge zu kümmern, denn den Splitter bei unserem Nächsten können wir ohnehin erst entfernen, wenn der es auch zulässt.  

Der kollektive Westen hat über viele Jahrzehnte lang den Ländern des globalen Südens und des Ostens Vorhaltungen wegen irgendwelcher Menschenrechtsverletzungen gemacht, mit einer Heuchelei, die zum Himmel stinkt. 

Deutschland schien eine Zeit lang ehrlicher zu sein als die anderen westlichen Länder, weil es so aussah, als ob wir uns wirklich demütig um den Balken im eigenen Auge gekümmert hatten.

Seit Beginn des Völkermords in Gaza wissen wir, dass unser politisches Personal zuvor nur geschicktere Heuchler waren. Ich bin fest davon überzeugt, dass Willi Brandts Demut echt war. Bei seinen Nachfolgern, aber, ist diese "Erinnerungskultur" nur zynischer Schein. Von solchen Heuchlern lässt sich niemand mehr irgendwelche Splitter ziehen. Und das ist auch gut so.